Verwirrung und Desorientierung

Auch hier fasse ich unter dem Begriff Legasthenie folgende Teilleistungsstörungen – Legasthenie, Dyskalkulie, Dyspraxie sowie Dysgraphie – und ADS/ADHS zusammen. Eine kurze Erklärung der Fremdworte finden Sie in der Zusammenfassung der verschiedenen Begriffe im Bereich Teilleistungsstörungen.

Hier möchte ich versuchen Ihnen zu demonstrieren wie die eigentlich genialen Grundlagen zu den teilweise doch recht belastenden Schwierigkeiten führen können.
Die Betonung liegt für mich auf dem Wort können, denn es muss nicht zwangsläufig so sein.

Im Bereich über das bildhafte Denken habe ich Ihnen bereits einige Beispiele gegeben, die zu Verwirrung führen können. Das möchte ich an dieser Stelle noch erweitern, denn so vielfältig wie die Schwierigkeiten der Betroffenen sein können so verschieden können auch die Dinge sein, die zu Verwirrung führen.

  • jede Form von Symbolen,
    • Buchstaben,
    • bildlose oder vom Inhalt unbekannte Worte,
    • Zahlen …,
    • Rechenzeichen +/- …,
    • Rechenwege,
    • Sachaufgaben,
  • Langeweile,
  • Unterforderung,
  • Erinnerungen an unangenehme oder sonst intensiv berührende Situationen,
  • generelles Desinteresse an angebotenen oder geforderten Inhalten,
  • Überforderung,
    • manche Betroffene sind auch hochsensibel und dadurch besonders schnell überfordert, mit ganz normalen Alltagssituationen, die weniger sensible Menschen noch völlig unberührt lassen,
  • Regeln, deren Sinn nicht bekannt ist,
    • hier ist zu bedenken, dass auch bei bereits häufig besprochenen Regeln durchaus sein kann, dass sie vom betroffenen Kind nicht verstanden wurde,
    • Folge, was ich nicht verstanden habe kann ich nicht befolgen,
  • empfundene oder reale Ungerechtigkeiten,
  • Bewegungsabläufe, die Aufgrund einer Koordinationsstörung schwierig sind,
  • das Einwirken verschiedener intensiver Eindrücke gleichzeitig,
  • und unendlich Vieles mehr.

Diese Liste kann nur einen kleinen Ausschnitt der Möglichkeiten darstellen.

Es ist wichtig zu verstehen, dass alle diese Verwirrungen schnell zu Desorientierungen führen können.

Häufig fällt in Gesprächen über legasthenische Kinder die Bemerkung: „Er/sie haben eine zu niedrige Frustrationstoleranz!“

Bedenken Sie, was Sie bereits über Desorientierung wissen:

  • Sie wird durch Verwirrung ausgelöst.
  • Es sind Situationen, in denen vom Betroffenen nicht mehr korrekt wahrgenommen wird, was um ihn herum geschieht.
    • Er kommt ins Träumen, dann wird in der Regel von angenehmen, ihn interessierenden Dingen geträumt oder
    • er lenkt seine Aufmerksamkeit, von den ihn verwirrenden Inhalten weg, auf irgendetwas für ihn Interessantes, das Eichhörnchen auf dem Baum oder der LKW auf der Straße, an der Ampel ….
  • All das passiert meistens völlig unbewusst.
  • Hinzu kommt, dass Legastheniker bereits sehr früh die Desorientierung als eine Möglichkeit kennen und lieben gelernt haben, sich für sie verwirrenden und damit unangenehmen Situationen, zu entziehen.

Aus diesem letzten Satz erklärt sich diese niedrige Frustrationstoleranz oder auf Deutsch die niedrige Verwirrungsschwelle.

  • Verwirrungen sind generell unangenehm und Zustände, die jeder – Alter völlig egal – schnellstmöglich beenden möchte.
  • Kleine Kinder mit legasthenischen Grundlagen, welche die Desorientierung für sich entdeckt haben, benutzen diese sehr schnell als Lösung um verwirrende Situationen nicht aushalten zu müssen.
    • Sie erinnern sich, in der Desorientierung werden schöne und interessante Dinge in Gedanken getan oder die Aufmerksamkeit wird auf etwas Interessantes gelenkt.
    • Die Folge ist, dass die Kinder nicht lernen Verwirrungen auszuhalten und immer wieder auf bereits geringfügige Verwirrung mit Desorientierung reagieren.
    • Ist es ihnen jedoch nicht möglich in die Desorientierung zu gehen, fallen sie oft unangenehm auf.
      • Die Folge ist die oben genannte Aussage.
  • Kleine Kinder, die diese Möglichkeit verwirrenden Situationen auszuweichen nicht haben, lernen hingegen nach und nach, dass auch die unangenehmen Situationen irgendwann vorbei sind und es dann wieder gut wird.
    • Die Folge ist, dass sie immer mehr an Verwirrung aushalten.
    • Ihre Verwirrungsschwelle wächst kontinuierlich, so dass sie nach einiger Zeit schon eine ganze Menge aushalten können.

In den Desorientierungen liegt aber auch eine der Stärken der Legastheniker. Desorientierungen ermöglichen ebenso wie das bildhafte Denken eine hohe Kreativität, die wiederum die Grundlage einer guten Intelligenz ist. Oft ist es so, dass Legastheniker schnell auf ungewöhnliche Lösungsideen kommen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie nicht üblichen eingefahrenen Spuren im Denken folgen sondern ihren eigenen flexibelen Wegen und sicher auch daran, dass sie es mit einer hohen Geschwindigkeit tun, da sie sich nicht mit langsamem Wortdenken aufhalten.
Wenn einem das bewusst ist, so kann man verstehen, dass ihre eigene hohe Geschwindigkeit sie oft ungeduldig macht. Sie haben ja schon eine Lösung, bevor so mancher mit dem Nachdenken beginnt.

Zum Beispiel rechnet unser Sohn teilweise nicht mit den Formeln aus dem Tafelwerk, sondern hat sich seine eigenen Lösungswege ausgedacht. Diese braucht er nicht auswendig zu lernen, da sie bereits da sind, wenn er sie braucht. Die Lösungen sind richtig und einen Dank an seine Mathematiklehrerin, die sich auf seine teilweise ungewöhnlichen Lösungswege eingelassen hat und diese gelten ließ, was seinem Selbstbewusstsein sehr gut getan hat.
Das ist nicht nur in Mathematik so, sondern auch in vielen alltagspraktischen Bereichen. Er hat schon so manche Verbesserung zu unseren Arbeitsabläufen vorgeschlagen und umgesetzt.

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